Karl Barth
hg. von Hermann Schmidt
Mit dem Jahr 1916 erreicht die sukzessive Veröffentlichung der Predigten, die der junge Karl Barth als Safenwiler Pfarrer allsonntäglich zu halten hatte, die Zeit, in der – im Sommer dieses Jahres – mit seiner ersten Auslegung des Römerbriefs der grundlegende Wandel seiner Theologie sich anzubahnen begann. Bekanntlich musste dieses zwei Jahre später vollendete Erstlingswerk schon nach weiteren zwei Jahren einer radikal anders konzipierten Neufassung weichen, die «einschlug» und zum Grunddokument der «dialektischen Theologie» wurde. Das Jahr 1916 markiert sozusagen den Anfang dieses Anfangs, der als ein dramatischer Gärungsprozess die letzten Jahre von Barths Pfarramt erfüllte. Was wird von diesem Prozess auf der Kanzel spürbar? Das ist wohl die interessanteste Frage, mit der man diesen Band lesen wird.
Wer einigermassen mit der Zielrichtung von Barths Suche nach Neuorientierung vertraut ist, wird überrascht sein durch das Schwergewicht, das in der ersten Jahreshälfte noch auf das menschliche «Ernstmachen» mit der biblischen Botschaft fällt – ein Ernstmachen zugleich mit dem, was verborgen in ihm, dem Menschen selber, steckt. Dieses Ernstmachen ist geradezu die Bedingung dafür, dass Gott zum Ziel kommen kann. Es fehlt nicht an drastischen Vorhaltungen an die Gemeinde, die sich nicht zum Mitgehen bewegen lassen will. Eine förmliche Strafpredigt, die Barth drucken und in den Safenwiler Häusern verteilen liess, musste er 16 Jahre später bei ihrem Wiederabdruck mit einem selbstkritischen Kommentar versehen. In der zweiten Jahreshälfte setzt eine markante Akzentverschiebung ein. Der Prediger sucht mehr und mehr deutlich zu machen, dass es nur ein kleiner Schritt ist, der dem Menschen zu tun übrig bleibt, nachdem Gott alles für ihn getan hat. Diesem kleinen Schritt dient aber weiterhin ein starker homiletischer Nachdruck.
Karl Barth-Gesamtausgabe, Band 29/Abt. I
1998, XIV/471 Seiten, Leinen mit SU
ISBN 978-3-290-17141-4
96,00 €
Karl Barth (1886–1968) studierte Theologie in Bern, Berlin, Tübingen, Marburg und war von 1909 bis 1921 Pfarrer in Genf und Safenwil. Mit seiner Auslegung des Römerbriefes (1919, 1922) begann eine neue Epoche der evangelischen Theologie. Dieses radikale Buch trug ihm einen Ruf als Honorarprofessor nach Göttingen ein, später wurde er Ordinarius in Münster und Bonn. Er war Mitherausgeber von «Zwischen den Zeiten» (1923–1933), der Zeitschrift der Dialektischen Theologie. Karl Barth war der Mitautor der «Barmer Theologischen Erklärung» und ein führender Kopf des Widerstands gegen die «Gleichschaltung» der Kirchen durch den Nationalsozialismus. 1935 verlor Barth wegen Verweigerung des bedingungslosen Führereids seine Stelle an der Bonner Universität. Er bekam sofort eine Professur in Basel, blieb aber mit der Bekennenden Kirche in enger Verbindung. Sein Hauptwerk, «Die Kirchliche Dogmatik», ist die bedeutendste systematisch-theologische Leistung des 20. Jahrhunderts.
Hermann Schmidt ist Herausgeber verschiedener Bände der Karl Barth-Gesamtausgabe, darunter zahlreiche Predigt-Bände.
Seit 1971 sind im Theologischen Verlag Zürich mehr als 50 Bände der Karl Barth-Gesamtausgabe erschienen. In ihr werden Barths Texte kritisch ediert und so präsentiert, dass sie für die wissenschaftliche Beschäftigung, aber auch für einen grösseren Interessentenkreis lesbar und zugänglich werden. Jeder Band wird von einem oder mehreren spezialisierten Herausgebenden bearbeitet und erscheint in Zusammenarbeit mit der Leitung des Karl Barth-Archivs.
Angelegt ist die Gesamtausgabe auf ca. 70 Bände. Nicht aufgenommen wird die «Kirchliche Dogmatik» und – ausser den bereits edierten Texten – die gut greifbar vorliegenden monographischen Arbeiten Barths.
Die Gesamtausgabe gliedert sich in sechs Abteilungen:
I. Predigten
II. Akademische Werke
III. Vorträge und kleinere Arbeiten
IV. Gespräche
V. Briefe
VI. Aus Karl Barths Leben
Jedem Text bzw. jedem Band sind Einleitungen vorangestellt, in denen der Anlass und die Entstehung des Texts, der historische oder biografische Hintergrund und, soweit ermittelbar, die unmittelbare Wirkungsgeschichte erläutert werden. Textgrundlage ist in der Regel der letzte von Barth autorisierte Druck.